Keiler - Nachbereitung

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''Isch sags doch. Die olle Bruno Kruxe, die aldi Schlamp, die bringts ned als Gurkekönischin. Da war die Grünhaut schon viel besser. Isch werd die Grünhaut auch weiderhin mit Prinzessin ohnrede. Un die annere, die Schlamp, die kann misch mal.''
(Unzufriedene Berggurkenbauern, im Gastraum, eine Woche nach Wahl der Eisgurkenprinzessin diesen Jahres)

''Mich interessieren keine Ausflüchte. Ich will diese Gurken. Die gesamte Lage soll in den Osten verkauft sein? Das kann nicht wahr sein!. Wir können uns so ein Geschäft einfach nicht durch die Lappen gehen lassen. Die Kaiserin liebt diese verdammten Gurken aus dem Kulmen. Und zur Zeit leider insbesondere die sauren...''
(Toben Freilassing, zweiter, kaiserlicher Küchenvorsteher, Kulinarienverwalter und Mundschenk am Hofe Ihrer Kaiserin, Raven I., zu Hohnstein, im Kaiserreich)

''Seit die uns hier den Baum stillgelegt haben, kommt einfach nichts mehr nach. Ich denke, wir sollten den Keiler zumachen...''
(Die Wirtin des Keiler's, in einer dunklen Minute, aus dem Fenster sehend)

Der Scherge schritt auf den alten Friedhof zu.

Der Wald war ruhig und friedlich. Von den bewegten Ereignissen der letzten Tage und vor allem der Nächte war nicht mehr viel zu spüren. Diese Sterblichen, mit ihrer kurzen Spanne -- unbewusst ließ er etwas Sand aus seinen Fingern gleiten - vermochten sie doch die Welt in erstaunlich große Wellen zu versetzen. Immer wieder dieser sinnlose Taumel von Leben und Vergehen - was sie auf dieser Welt hielt, der Schnitter konnte es nicht sagen. Was rührte es ihn.

Sein Schritt waren langsam und gemessen. Er hatte alles erreicht, was ihm aufgetragen worden war, man - ER - würde sehr zufrieden sein mit ihm und seiner Arbeit. Sein Aufstieg zu höheren Weihen war nun gewiss. Sie konnten das nicht ablehnen. Er hatte gewonnen. Aber wir gewinnen ja immer, so oder so. Das dachte er bei sich und lachte kehlig.

Der Spalt, den die unheilig aufgehängten Dunkelelfen-Körper aufgerissen hatten, befand sich nun im Schließen. Bald würde nichts mehr an diese unfreiwillige Pforte in die Zwischenwelt des Totenreichs erinnern. Die Morr-Priester und diese Seherin hatten schließlich ganze Arbeit geleistet. Er musste sich beeilen, bald würde die Sonne aufgehen. Er sollte dann schon übergetreten sein. Er musste sich ja wirklich um das Hinübertreten bemühen. Sonst würden sie ihn sicher holen kommen, nein, eher vorzeitig zurückbeordern. So wie all seine Vorgänger. Was für ein Sieg - er würde ein Fürst sein unter seinesgleichen. Nein, holen würden Sie ihn nicht müssen - er würde selbst hinübergehen.

Die Seelen. Das war ja ein wahres Fest gewesen. Dass er die Zwergenseelen vor ihrer eigentlichen Zeit abgeliefert hatte, müsste er ja keinem erzählen. Es würde schon niemand merken, dass die Zwergenseelen, die er abgeliefert hatte, gar keine der vermissten Seelen waren. Sie hätten schließlich alle die Pforte missbrauchen können, so wie der eine, der ihm zunächst doch entwischt war. Diese Seelen würden ein kleiner Bonus sein, zusätzlich zu dem schon versprochenen. Auch hatte er sich an den Kinderseelen trefflich gelabt, die im letzten Sommer, dem Sommer des Krieges, die Gegend um Vardenheim heimgesucht hatten. Junges Leben - nein Vergehen - zu pflücken war doch immer wieder ein besonderer Genuss. Und wen die Götter lieben, den holen sie früh zu sich.

Die Kinderseelen, einiges hatte er von ihnen erfahren. Von ihren Eltern zu Zeiten des Krieges versteckt, waren sie in einer kleinen Grotte jämmerlich zugrunde gegangen. Kein schöner Tod, er bleckte grinsend seine bleichen Zähne. Dann waren sie rastlos des Nachts umhergezogen, immer auf der Suche nach ihren Eltern. Bis zu einem alten, heiligen Kloster im Kulmendurchbruch in der Nähe von Vardenheym waren sie gewandert, das Kloster hatte ihnen kurzzeitig eine Bleibe geboten. Die vergessenen Kinder hatten vergeblich nach ihren Eltern gerufen, sangen die alten Kinderreime. In der Nähe des Keilers hatte er die Grotte gefunden. Ebenda hatte er sie eingesammelt, ihnen ihre Wahrheit eröffnet und sie ihrem neuen Zuhause zugeführt. Auch für Kinder war im Reich der Toten Platz. An der Seite ihrer Eltern.

Sein Auftrag, Seelensammler war er. Naja, diese Orkseele war ein wenig leidlich gewesen. Der Ork hatte ihm alles Mögliche geboten, nur um weiter auf dieser Welt zu bleiben. Manches hatte interessant geklungen. Aber einen zusätzlichen Helfershelfer konnte er nicht gebrauchen, was sollte ein Ork schon für ihn tun. Auch wenn das Angebot am Anfang verlockend geklungen hatte. Wieso Gnade, er war der Scherge und bald, ja bald, Größeres...
Der Ritter hingegen war klaglos mit ihm gegangen. Seine Zeit war abgelaufen, sein Werk erfüllt gewesen. Er war ruhig und gefasst hinübergetreten, zu all den anderen, die schon auf ihn warteten. Er würde ihnen Neuigkeiten bringen, er hatte einen neuen Bannerträger geweiht. Doch auch die Seele des neuen Bannerträgers, eines Zwergs, würde ihnen bald begegnen. Der Zwerg war gefallen, das Banner hing wohl jetzt nutzlos im Keiler herum.

Was der Zauber um den Baum gewesen war, lag für den Schergen mehr oder weniger im Dunklen. Ein Seher namens Karl war damals vor 60 Jahren von den Elfen an diesem Baum aufgebracht worden und verstorben. Warum die Seele sich dann im Riss zwischen der Welt und der Zwischenwelt verfangen hatte, war auch im Totenreich ein noch ungelöstes Rätsel. Sie würden das prüfen müssen.

Karl, der zwischen den Welten hing, hatte weitere Seher angelockt. Er hatte ihre Botschaften in die Schattenwelt auf seinen Händen getragen und so die Verbindung mit den Toten hergestellt. Viele hatten mit ihren Verstorbenen gesprochen. Zu Viele.
Ja, der Übergang zwischen den Welten war hier an dieser Stelle wirklich dünn gewesen. Für seinen Geschmack zu dünn, es war Zeit gewesen, dass sich jemand richtig darum kümmerte. Sie hatten den Spalt geschlossen. Der enge Kontakt zu den Toten war sicher nicht gut für diese Region gewesen. Sollte so etwas noch einmal passieren, vielleicht würde das sein nächster Auftrag sein...? ER würde es ihm sagen.

Warum ihm dieser seltsame Heiler die Lampe gegeben hatte, ja eher überantwortet, wusste er eigentlich nicht richtig. Auch was der Sinn der Lampe sein sollte, war ihm nicht klar geworden. Das er diesen Gegenstand überhaupt ergreifen konnte, etwas Stoffliches, war für sich schon ungewöhnlich. Das Rot der Lampe hatte geflackert. Er hatte die Lampe erstmal im Gasthaus gelassen. Die Wirtin war ungewöhnlich erfreut gewesen.
''Trage die Lampe ins Tal, du musst herabsteigen'', so hatte der Heiler verzweifelt versucht, sich von ihm loszukaufen. Er würde das Wissen um dieses Artefakt erstmal ins Totenreich tragen. Dort würden sie ihm schon sagen, was damit zu tun sei. Sollten sie ihn bestimmen, sie zu holen, er würde sie für den Heiler ins Tal tragen. In ein Tal, das tiefer war als alle Abgründe dieser Welt. Und dort, ja dort, das dachte der Scherge bei sich, würde das Licht dieser Lampe sicherlich leuchten.

Düster und stumm näherte sich der Scherge dem Übergang. Diesmal hatte er gewonnen, er konnte einfach nicht verlieren. Nicht auf dieser Welt. Und, wenn sie ihn ließen, würde er zurückkommen. Er hatte an der Einfalt und der Weichheit der Sterblichen Geschmack gefunden. Noch einmal grunzte er dunkel in sich hinein. Dann, leise, ganz leise, wie eine Katze glitt er in die wohligen Schatten hinab wie in einen sanften, glatten See aus Schwärze.
Schatten mischten sich mit Schatten. Er, ein Schnitter, stieg hinab.

''...lass es mich streicheln, nur mich, nur heute und nur dies eine Mal für mich allein, ganz allein. Ich fühle eine Gier wie ich sie selten gefühlt habe. Und ich werde Kraft brauchen. Allerdings wird uns das, was wir hier im Gasthaus haben, nicht lange reichen. Wir brauchen mehr, immer mehr...''
(Zwei Ortsansässige im Zwiegespräch, vor dem im Gastraum als Trophäe aufgehängten Sternenbanner des Ordens der Etzelritter)

Schattentänzer und der Zwerg saßen im leeren, beinahe dunklen Gastraum. Der Nachmittag ging in den Abend über, die vielen Fremden waren wieder fort, letzte Aufräumarbeiten fanden ihr Ende. Der Gastraum war ruhig. Die Perlgurken gluckerten friedlich.

Schattentänzer sprach ruhig und beharrlich: ''Heute wird der lebendige Boden des Kulmenausläuffers Blut trinken. Wir werden sie kriegen.'' Der Zwerg nickte stumm. Schattentänzer hatte dies bei der Leiche des Heilers Anger geschworen. Man hatte die Reste der zerstückelten Leiche unweit des Gasthauses unter einem niedrigen, kleinen Baum liegend gefunden. Die Leiche war halb verscharrt gewesen, außerdem wie von einem Tier angefressen. Einer der Berggurkenbauern war im Suff darüber gestolpert.
''Eth muth die Bethtie gewethen thein. Niemand thontht würde den Frevel begehen, einen Leichnam zu ztherteilen und dann halb aufzthufrethen. Die Bethtie, oder Chlimmereth.'' sinnierte der Zwerg. ''Morgen früh wird eine rote Sonne aufgehen,'' Schattentänzer stockte kurz, ''es wird viel Blut fließen. Die Verfolgung ist schon im Gange, dafür ist gesorgt.''

Schattentänzer schwieg. Blutgeld würden die Fremden wieder einmal für ihre Verfehlungen bezahlen, so wie es hier schon seit Jahrhunderten geschah. Keiner, kein Fremder, strich hier in den Wäldern der Elben die Schwelle ihres Hauses in Rot. Die Elben würden ihn bekommen, so wie alle anderen, die den Elben hier nicht ihre Achtung erwiesen hatten.
''Wir haben ja auch Tunkbert eingefangen... diesen diebischen Gurkenzüchter. Auch er hat von uns bekommen, was er verdient hat.'' Schattentänzer dachte dies still bei sich. Seine Augen wurden dunkel und kalt.

''Die Fremden thind ja abgereitht. Naigette und die Crew wird auch nach Relia aufbrechen. Ein Arrangemon..'', der Zwerg stammelte leicht dabei, ''..wir brauchen nur noch etwath von dem Thand, der...''
Schattentänzer war abwesend. Der Wald, dieser Kulmenausläuffer, nun war er wieder Elfenland, so wie schon seit Jahrhunderten. Es war nicht leicht gewesen, diesmal, aber die alte Schuld war nun tatsächlich getilgt worden. Wie die Fremden dies genau erreicht hatten, war ein Rätsel. Der Spalt war geschlossen, er hatte auch dies an die anderen Elfen weitergegeben.
Da alle Fremden gegangen und der Trubel vorbei war, würde Awnstatt nun wieder einen ungehinderten, freien Blick auf den Kulmendurchbruch haben. Das war eigentlich wichtig. Schattentänzer lächelte dünn.

''...aber diether Eingang, und die alten Armchienen, die hätte ich thon gerne gethehen.'' Schattentänzer horchte auf.
''Armschienen, und welcher Eingang?'' Das Gebrabbel des tumben, angesäuselten Zwergs schien doch noch interessant zu werden.
''Tief im Wald tholl ein riethiger, theltthamer Thtein liegen. Eine alte Karte auth dem Zthwergengrab bethreibt den Weg dorthin. Eth thind da tho theltthame Runen...''.
''Die ihr mir sicher und gerne erklären werdet, Freund Zwerg, denkt an unseren Handel!''

Der Zwerg vergrub seine Hände in seinen Taschen. Elben hatten ein gutes Gedächnis. Vielleicht konnte er sich noch einen Wechsel bei Schattentänzer ausstellen lassen, der alte Elf war sowieso so senil, dass er alles durchgehen ließ, dachte der Zwerg in sich hineinkichernd. Zwergische Magie, was sollte er Schattentänzer davon erzählen, er würde tief in die Trickkiste greifen müssen. Naja, zahl du erstmal, Hübscher, ich kann so nicht arbeiten, so sagte das Naigette jedenfalls immer...

''Ein verborgener Eingang nach Arca-Dum. Ich könnte euch davon erzthählen. Gegen dath nächthe Bier natürlich.'' Der gesunde Geschäftssinn des Zwergs drang durch den Rausch in seinem Kopf. Wenn die Karte, die im Zwergengrab gelegen hatte, stimmte, dann war er gar nicht so weit. Das Grab war geplündert worden, diese Frevler. Ein vergessener Eingang nach Arca-Dum; dafür würde jeder Zwerg sein Leben geben. Und das jedes anderen Nichtzwerges nehmen. Schattentänzer würde jedenfalls nichts von ihm erfahren.

Schattentänzers Blick schweifte zu dem Sternenbanner, das als neue Attraktion im Gastraum aufgehängt war. Ein Neuankömmling hatte die Leiche eines einfachen Stallburschen auf dem Weg zum Gasthaus entdeckt. Das Banner hatte irgendetwas friedliches, etwas heiliges. Auch wenn sein Glanz mehr und mehr zu verblassen schien. Man hatte das Banner bei der Leiche entdeckt. Und dann war es hier aufgehängt worden. Eigentlich passte es ganz gut zu dem seltsamen Tand, der hier im Gastraum ausgestellt war...

''Ich will die Armschienen thehen. Thwerge haben thie gemacht! Diether verdammte Waldläuffer, wenn ich den in meine Finger kriege...'' Der Zwerg rang seine ölverschmierten Finger. Ein Mensch, ein alter Alvantar-Anhänger, was auch immer das sein mochte hatte, hatte sie gefunden. Er würde ihm den Hals umdrehen.

Schattentänzer lächelte. Die Wirtin trug gerade die neue Wichtelspeisung nach draußen auf den Opferstein. Wenn die Wichtel friedlich blieben, konnte man getrost ihr Geheimnis für immer vergessen. Es war wohl in guten Händen. Sie taten eine Menge gutes, gerade hier in dieser Gegend.

''Chattentänzer, wath thind dath für Thzeiten, wo thelbtht Lichtelb mit Ork und Dunkelelb an einem Tithch thitthzen und plaudern...'' Der Zwerg brach ab und sah verwundert an sich herunter; dann viel sein Blick auf den alten Elben. Er öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen. Kein Laut kam über die Lippen des Zwergs, der mit einem Lichtelben am Tisch saß.
''Ihr sprecht von dem Elben Allorn, der sich mit dem dunklen verbrüderte, ja, dies sind Dinge, die unsere Welt hier im Kulmen besonders machen. Ein Reich der Elfen; alle werden Brüder. Naja, hier ist wirklich einiges ungewöhnlich!'' Schattentänzer sah den Zwerg ernst an, dann hellte sich seine Miene auf.
Auch er hatte interessante Gespräche geführt. Der Gurkenpriester war ein Quell an Wahnsinn gewesen, und doch, irgendetwas war an diesem Menschen außergewöhnlich. Und wenn es nur der Sand gewesen war, der sich wie bei den Drinnenzwergen und Naigette in einem leichten Flaum um die Nase gelegt hatte. Der Sand des Schergen; dies war eine der Geschichten gewesen, denen er nur zu gerne Glauben geschenkt hätte. Von dem Brettspiel der seltsamen Sphärenreisenden ganz zu schweigen.

Still saßen beide im dunklen Licht des leeren, verlassenen Gastraums. Beide verharrten versunken in ihren Gedanken, die wanderten, weit und schweifend. Dann, behutsam, stand der Zwerg auf und verließ den Keiler. Schattentänzer blieb und beobachtete abwesend das Spiel der letzten Lichtstrahlen, die sich durch den Lauf der untergehenden Sonne auf dem blankgeputzten Gastraumboden spiegelten. Schatten mengten sich mit Schatten, und wenn er ganz genau hinsah, konnte er ein kurzes Kräuseln, ein Aufbäumen, in diesen Schatten sehen. Er zog seinen Mantel um sich, es war auf einmal sehr, sehr kalt hier, im Gastraum des Keilers. Schattentänzer erhob sich langsam und steif, und trat durch die Türe, um dem Zwerg nach draussen in das warme Licht des Abends zu folgen.
Kälte blieb zurück, und Bewegung des sich verwerfenden Lichtes, ein Spiel der Mächte. Erbarmungslose Kälte, und die Gewissheit, dass viel geschehen war und noch geschehen würde.
Die Kälte kroch langsam, einer stillen Einladung folgend, zu der Lampe des erschlagenen Heilers hin, der Lampe, die auf einem Tisch aufgestellt war, der unter dem Sternenbanner stand. Und das Licht der Lampe leuchtete in einem tiefen Rot.

Eintrag im Gästebuch des Ranzigen Keiler, Mai 3134, in der Nähe von Vardenheym, geschrieben in Cornisch:

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(Hier wird die Schrift des Verfassers unleserlich, wie von klammen Fingern geschrieben, Fingern, die sich verzweifelt gegen unbarmherzige Kälte stemmen. Der Text bricht hier unvermittelt ab, verwischte Tintenflecken zieren den Rest der Seite.)

© Verein zur Förderung mittelalterlicher Spiele e.V., Vervielfältigung ohne Genehmigung nur zu nichtkommerziellen Zwecken

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